Am Ende der Schulzeit äußerte ich den Wunsch etwas kaufmännisches zu lernen, weil ich mich nicht gerne schmutzig machte. Meine Eltern erkannten aber kein Talent für so etwas. Außerdem ergab es sich, dass ein Unternehmen für Autowerkstattausrüstung Auszubildende (damals Lehrlinge) suchte. Also wurde ein Termin ausgemacht und meine Mutter fuhr mit mir dahin. In der Lehrwerkstatt begrüßte uns der Ausbildungsmeister. Er erklärte mir und hauptsächlich meiner Mutter den Beruf eines Maschinenschlossers (Das klang für mich nach Dreckarbeit). Nach diesem Gespräch beschlossen meine Eltern, dass ich diesen Beruf erlernen solle.
Du meine Güte — für handwerklichen Kram hatte ich nun überhaupt kein Talent. Irgendwie überstand ich die 3 Jahre Mehrheit und brachte sogar eine vernünftige Gesellenprüfung zustande. Wie es mir dabei ging interessierte zu Hause niemand, Hauptsache es kamen keine unangenehmen Briefe wie manchmal von der Realschule.
Diese 3 Jahre waren sehr steinig. Ich kann es nicht sagen warum, aber sehr schnell merkten die anderen neuen Lehrlinge und auch der für das 1. Lehrjahr zuständige Meister, dass ich „anders“ war. Ich gab mir alle Mühe und hatte mir auch schon einige Verhaltensweisen von Jungs angeeignet, trotzdem wurde ich als „Mädchen“ tituliert. Durch irgendein Verhalten, durch irgendeine Geste, durch meine Stimme, durch ich-weiß-nicht-was hat sich der Meister für das 1. Lehrjahr provoziert gefühlt und hatte mich fast die ganze Lehrzeit auf dem Schirm. Selbst wenn in der entferntesten Ecke der Werkstatt etwas schepperte hieß es: „Immer dieser Kluuuum“, mit extra langem U. Wenn es eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Lehrlingen gab und ich war in der Nähe (innerhalb eines Radius von 5m) bekam ich irgendeine Strafarbeit aufgebrummt, sei es Hofkehren, irgendwelche Gussteile reinigen (eine Drecksarbeit) oder irgendetwas Anderes, was keiner machen wollte oder man sich völlig einsaute. Ich konnte machen, was ich wollte — ich war wieder einmal der Depp.
Im 2. Lehrjahr wurde es etwas besser. Da hatte ich nicht mehr so viel mit Demjenigen zu tun. Ich durfte an Maschinen arbeiten, oder auch in verschiedenen Abteilungen des Betriebes. Trotzdem war ich noch Zielscheibe von hinterhältigen, bösartigen Anschlägen.
Irgendwann war diese Zeit vorbei. Ich hatte die Prüfung bestanden und durfte noch 2 Monate als Geselle in dem Unternehmen arbeiten dann wechselte ich auf die Fachoberschule in Dieburg. In der 12. Klasse ging es gesittet und anständig zu. Endlich einmal war ich nicht mehr die Zielscheibe von Spott und Hohn und von wirklich bösartigen Angriffen. Allerdings hatte ich durch mein Abschalten im Unterricht der Realschule in Mathe schwer zu kämpfen. Und die Prüfung verhagelte ich komplett.
Nach diesem schulischen Intermezzo rief der Staat nach mir. Ich würde zum Dienst an der Waffe eingezogen. Jetzt hatte meine Lektionen gelernt, wie sich ein „Mann“ in welcher Situation verhält. Weil mir das seelisch sehr zusetzte, soff ich irgendwann wie ein Loch.
Im der Grundausbildung hatte ich dann das einschneidende Erlebnis meines Lebens (noch vor der jetzigen Transition). Unser Zug sollte auf der Hindernisbahn üben. Ich brach auf einmal zusammen und wurde anscheinend bewusstlos nachdem ich in den angrenzenden Sanitätsbereich gebracht worden war. Ich weiß noch, dass auf einer Peitsche lag und dann lief mein bisheriges Leben wie in einem Film vor mir ab, dann erschien ein grelles Licht und dann nichts mehr. Ich hörte Stimmenrufen: „Da ist er wieder“. Man erzählte mir nicht viel aber ich hörte irgendwie heraus, dass ich einen Herzstillstand hatte. Durch dieses Nahtoderlebnis war fast die gesamte Erinnerung verschwunden. Was mir blieb waren die unangenehmen Dinge, das Wissen irgendwie weiblich zu sein und die erlernten Verhaltensweisen eines Mannes.
Manche Erinnerungsbruchstücke kamen im Lauf der Jahre wieder zurück. Der große Durchbruch begann aber erst vor etwa 7 bis 8 Jahren, als ich manchmal Nachts aufwachte und mir Erinnerungen kamen. Dann setzte ich mich an den Rechner und hielt die Erinnerungen in einem Tagebuch fest.
Bis auf die Tatsache, dass ich im Oktober noch einmal in eine Ausbildungseinheit gesteckt wurde und diese den ganzen Oktober Ausgangssperre hatte, weil sich Israelis und Araber mal wieder die Köpfe einschlugen, war es bei der Bundeswehr recht entspannt für mich. Kein Mobbing, keine Gehässigkeiten, kein Garnichts. Ich hatte nur dieses Trauma wegen der Ausgangssperre und der Angst, dass wir in den Krieg ziehen müssten. Das wurde ich 30 Jahre nicht mehr los.
Weil ich nicht gut mit der Situation als „Mann“ klar kam war ich mehrmals die Woche ziemlich bis stark betrunken. Da brauchte ich auch wegen meiner Herzmedikamente nicht viel Alkohol. 3 große Bier reichten für einen Vollrausch und manchmal für eine Nacht in der Ausnüchterungszelle der Wache.
Irgendwann so in dieser Zeit dachte ich auch einmal darüber nach, dass andere junge Männer eine Freundin hatten und ich nicht. Kontaktscheu, wie ich wegen der ständigen Attacken mittlerweile geworden war kein einfaches Unterfangen. Und noch etwas kam dazu: Von meinen Eltern hatte ich mitbekommen, dass gleichgeschlechtliche Liebe etwas verbotenes und etwas unnatürliches sei. Da ich das „Frausein“ noch nicht völlig verdrängt hatte fühlte es sich mit einer Frau auch „nicht richtig“ an.
Soweit erst einmal.
Eure Emma