ICH, oder die Einleitung

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Ich bin 1954 geboren und war der ganze Stolz meiner Eltern. Sie gaben mir den Namen Karl-Heinz, weil die Hebamme nach einem Blick zwischen die Beine meinte ich sei männlich. Aber schon in der Grundschule merkten zumindest meine Mitschüler, dass ich irgendwie anders war und ich wurde 4 Jahre lang mehrmals die Woche verprügelt. Ich wusste mich einfach nicht zu wehren. Später auf der Realschule wurden die Prügelattacken weniger, aber dafür nahmen andere Hänseleien zu. Und wieder fand ich keine Mittel, um mich irgendwie zur Wehr zu setzen.

Die ganzen Jahre hörte ich von meinen Eltern (hauptsächlich meinen Vater) ich solle mich zur Wehr setzen. Ja wie denn? Ich brachte es nicht fertig wie ein Junge drauf zu hauen. Der einzige Schutz in den Pausen war, dass ich mich mit 2 Mitschülern, welche auch Hänseleien ausgesetzt waren, zusammentat. Daraus entwickelte sich dann eine langjährige Freundschaft.
So mit Beginn der Pubertät wollte ich dann nicht mehr bei Ausflügen und Verwandtenbesuchen mitfahren. Stattdessen besuchte ich den Kleiderschrank meiner Mutter und zog mit großer Freude deren schöne Kleider, Röcke und Blusen an. Schon Vorher als kleiner Junge war ich sehr daran interessiert, was meine Mutter so anzog und schaute ihr gerne zu. Die abgelaufenen Quelle- und Neckermannkataloge waren für mich eine Quelle, aus der ich meine Sehnsucht Damenkleidung anzuziehen und als Frau weiter zu leben nährte. Ich getraute mich nicht, auch nur ein weibliches Wäsvhstück zu kaufen, weil meine Mutter überall herumschnüffelte.
Irgendwie lernte ich dann irgendwann mit Wölfen zu heulen. Irgendwann hatte ich männliche Verhaltensweisen erlernt, so das ich nicht mehr so auffiel. Aber Abends hätte ich oft über mein Verhalten kotzen können. Weil ich damals einen guten Bekanntenkreis und gut gut bezahlten Job hatte kam für mich ein Outing irgendwie nicht in Frage. Mehrmals war ich aber kurz davor wenn ich mal wieder einen Nervenzusammenbruch hatte. Um wenigstens zeitweise die lästigen Männerklamotten los zu werden machte ich FKK. Welch eine Befreiung…..
1988 heiratete ich meine jetzige beste Ehefrau und erfüllte meine Pflichten als Mann, was aber nicht immer so gelang.
Jetzt biegt mein Leben auf eine nicht enden wollende Nebenstraße ab. 1991 verlor ich meinen gut bezahlten Job wegen Mobbing. Mitte August 1992 breiteten sich innerhalb von 10 Minuten heftige Schmerzen über den ganzen Körper aus und gingen bis zur Nacht vom 24. auf den 25. Mai 2017 nicht mehr weg. Diese knapp 25 Jahre erlebte ich mehr oder weniger — meistens mehr — in einem Delirium aus Schmerzen und starken Medikamenten. Alles Andere hatte da keinen Platz mehr.
Ich weiß nicht genau zu sagen, ab wann bei mir die Hormone anfingen verrückt zu spielen. Jedenfalls die letzten etwa 4 Jahre meiner Krankheit ging bei mir auf einmal sexuell nichts mehr. Selbst die nächtlichen Erektionen blieben aus. So etwa Ende April/Anfang Mai bemerkte ich ein Wachstum der Oberweite. Damit meine Frau nichts merkt zog ich nachts dann doch einmal ein T-Shirt an (sonst schlafe ich seit meiner Jugendzeit nackt). So 2 Wochen später zeigte ich meiner Frau, was ich da so schamhaft versteckte. Seltsamerweise hörten dann die Schmerzen 2 oder 3 Tage später auf…….
Wir hatten zu dieser Zeit gerade 850-jahr-Feier unseres Dorfes. Damit niemand etwas merkte lieh ich mir von meiner Frau einen BH (95B), den ich schon recht gut ausfüllte.
Nach den Feierlichkeiten begann ich eine Tour durch diverse Arztpraxen. Zunächst mein Hausarzt — im Blutbild war nichts Auffälliges. Dann zum Urologen –Testosteron sehr niedrig, ich würde mir das nur einbilden, dass da was wäre. Dann in die Uniklinik Frankfurt zur Endokrinologie — die Ärztin nahm mich gar nicht ernst und wollte noch nicht einmal Blut abnehmen. Das wäre alles nur Einbildung und würde mit der Gabe von Testosteron wieder weggehen??? Das Blutergebnis würde kommentarlos zu meinem Hausarzt geschickt.
Testosteron — jetzt war ich elenden Schmerzen los und dann soll alles rückgängig gemacht werden? Nicht mit mir.
Zu der Zeit war ich noch wegen der Schmerzen in psychotherapeutischer Behandlung. Ich sprach darüber mit dem Therapeuten und er meinte, dass er eine Gynäkologin kenne, die sich sicher meine Brüste einmal ansehen würde. Ein Termin würde ausgemacht und ich mit meiner Frau dahin. Oh Wunder — im Ultraschall war deutlich eine etwa Mandarinengroße Milchdrüse umgeben von Fettgewebe zu sehen.
Von wegen Einbildung. Ich weiß nicht, wie mein Körper ohne zusätzliche Hormone das geschafft hätte, aber ich freute mich dann doch darüber. Seelisch durchlebte ich eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Mal fühlte ich mich mehr als Mann, überwiegend aber als Frau. Und das sagte ich auch meiner Frau und dem Therapeuten.
Den Schmerzmitteln ging es nun an den Kragen. Ich schlich die Medikamente aus. Da fiel auch einmal beim Therapeuten das Wort „Transsexuell“. Da ich ja alles irgendwie recht erfolgreich verdrängt hatte, dachte ich erst einmal „NÖ“. Ich konnte Anfang September noch nicht wissen, was da noch kommen sollte……
Am 29. September 2017 nahm ich die letzten Tropfen Schmerzmittel. Am nächsten Tag begann es in mir zu brodeln. Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren, schlief nur noch schlecht und grübelte vor mich hin. Nach etwa 3 Tagen begann ich im Internet nach dem Stichwort Transsexuell zu googeln und wurde von der Fülle der Informationen schier erschlagen. Ich stieß da auch auf „Ellen’s Blog“ von Ellen Herbes. Beim durchlesen kam mir dann die Erkenntnis, dass in meiner Kindheit und Jugend ähnliches durchmachte und sich auch später vieles ähnelte. Ich machte auch diesen Test und da kam dann doch raus, dass ich Transsexuell bin.
OK, dachte ich so bei mir, dann ist es so. Und für mich stand irgendwann fest, dass ich dann den Weg mit allen Konsequenzen bis zum Ende gehen würde — nur, wie sage ich das meiner Familie. Das war so kurz nach Mitternacht 6. Oktober 2017. Um kurz nach 3 Uhr wachte ich aus einem leichten Schlaf auf und hatte einmal wieder einen Nervenzusammenbruch mit Heulkrampf. Meine Frau wachte auf und kam an meine Seite. Und dann brach alles jahrzehntelang unterdrückte aus mir heraus — es ließ sich nicht mehr zurückhalten.
Das war der Urknall.
Eure Emma

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