Mein selbstzerstörerisches Verhalten

Meine Güte — wenn ich an diese Zeit zurückdenke bekomme ich ein Grausen.
Ich kam zwischen 1973 und 1984 kaum noch mit meiner Situation zurecht. Ich hatte da zwar die Freundschaft mit W., aber das war recht häufig recht einseitig. In dieser Zeit unternahm ich keine Selbstmordversuche, mein ganzes Verhalten in dieser Zeit war aber nicht darauf ausgerichtet lange zu Leben. Irgendwie brachte ich es doch fertig zu Überleben.
Kaum hatte ich ein eigenes Auto fing ich an durch die Gegend zu rasen. Und ich raste oft. Ob mit dem NSU, mit dem Renault 16 oder dem Audi 100. Ich trank viel und setzte mich dann ins Auto und fuhr durch die Gegend. Und wisst ihr, was das Schlimme war? Ich hatte von meinen Eltern mitbekommen, dass gleichgeschlechtliche Liebe etwas unnatürliches sei. Jetzt fuhr die Frau, die ich immer war und nie verbergen konnte, herum und suchte —nicht  etwa eine Frau, sondern einen Mann. Ich sehnte mich unendlich nach Liebe und Geborgenheit. Da war aber dieses gewaltige Hemmnis. Also versuchte ich es trotz schlechter Erfahrung mit Männern.
Das konnte aber auch nicht gutgehen. Ich bin nun einmal eine lesbische Frau. Also raste diese Frau ohne Rücksicht über die Landstraßen des Odenwaldes, ohne Rücksicht auf sich und Andere. Wenn der Frust etwas vorbei war stellte ich mich oft irgendwohin wo kein Mensch vorbeikam und heulte manchmal stundenlang oder schrie mein Leid in den Wald.
Als ich mir dann 1978 den schnellsten VW Passat kaufte trieb ich es besonders schlimm. Wenn ich meinen Rappel bekam fuhr ich kurvige Landstraßen auch mal mit 160 bis 180 Km/h. Ich wollte mich nicht direkt umbringen, aber ich wollte einfach manchmal verunglücken. Irgendwie hatte ich dann aber doch noch ein kleines Fünkchen Überlebenswille in mir. Ich stellte mich dann wieder irgendwo hin und heulte und schrie wieder.
Dazu rauchte ich die ganzen Jahre etwa 60 bis 80 Zigaretten am Tag. Alle 2 Wochen beim Kegeln trank ich so meine 3 bis 4 große Bier und fuhr dann noch nach Hause.
Meinen Tiefpunkt hatte ich dann etwa ab Mitte 1981. Ich besuchte einen Industriemeisterlehrgang. Zweimal die Woche abends und dann noch Samstags. Zu dieser Zeit machte der Betrieb, in dem ich arbeitete jede Menge Überstunden. Irgendwann war ich ausgebrannt und ging zum Hausarzt. Der verordnete mir einen Tranqulizer. Ich sollte davon aber nur eine viertel Tablette nehmen. Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass das Zeug mir bei meinem Problem half. Es wurde mit der Zeit immer mehr. Zeitweise bekam ich die Tabletten von 3 Ärzten verordnet.
Es war an einem Sonntag im Februar 1984, als ein guter Freund zu mir kam. Er bequasselte mich solange, bis ich die Tabletten ins Klo warf. Am nächsten Tag ging ich zu meinem Chef erklärte die Situation und bat um 3 Wochen Urlaub. Der wurde mir gewährt und ich fuhr immer Richtung Osten. Irgendwann war ich dann in einem Ort Neuhaus an der Pegnitz. Fand ein Gasthaus. Erklärte, dass ich einen kalten Entzug von Tabletten mache und sie sich nicht wundern sollen, wenn ich nachts herumgeistere. Ich war der einzige Gast und die Wirtsleute waren so nett mir ein Zimmer zu geben, wo sie mich hören konnten. Sie erklärten sich sogar bereit einen Arzt zu rufen, falls es besonders schlimm sei.
In diesen 3 Wochen ging ich jeden Tag stundenlang spazieren. Trank abends zum Essen nur ein Bier und bekam den Entzug so in den Griff. Ich brauchte auch keinen Arzt.
In diesen Tagen kam bei mir die Erkenntnis, dass ich mein Leben besser in Griff bekommen musste. Als erstes wollte ich das schnelle Auto verkaufen. Ein Diesel sollte her. Jetzt fuhr ich zwar immer novh sinnlos durch die Gegend, aber das wenigstens meistens nüchtern. Nur noch beim Kegeln trank ich meine Bier und fuhr dann noch nach Hause.
Dafür trank ich bei geselligem Beisammensein mehr. Das endete häufig in einem dieser Nervenzusammenbvrüche. Was hasste ich mich an folgenden Tag wegen meiner Sauferei. Oder ich hätte noch mehr trinken sollen — vielleicht hätte ich schon zwischen 1984 und 1987 mein Coming-Out gehabt. Wer weiß das so genau.
Diese schlimme Zeit endete, als ich mit meiner Frau zusammenkam. Das konnte aber nur deshalb klappen, weil sich die Frau von der Vorstellung befreite, dass gleichgeschlechtliche Liebe etwas unnatürliches sei. Diese Liebe entpuppte sich als etwas wunderbares, was bisher fast 31 Jahre gehalten hat.
Eure Emma

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