Leidensdruck und GaOP

Wieviel Leid kann ein Mensch ertragen? Eine ganze Menge meine ich. Aber eines Tages wird es dann zuviel. Dann wächst der Leidensdruck ins Unermessliche. Und dann reagieren der Körper oder die Psyche mit Krankheiten unterschiedlichster Art. Bei mir halt mit 25 Jahren Schmerzen.
Jetzt ist dieser Leidensdruck so groß, dass ich mich auf diese Geschlechtsangleichende Operation wie ein Kind auf Weihnachten freue. Da ändert auch die „Aussicht“ auf einige Wochen der Kraftlosigkeit wegen der Narkose nichts. Oder dass die „neuen“ Körperteile gefühllos sein oder Wucherungen an den OP-Nähten auftreten könnten ändert nichts daran. Oder wochenlang Schmerzen…….
Vor 30 oder 40 Jahren hatte ich noch nicht diesen Druck verspürt. Ich hatte ja meine „Ventile“ in Form meiner Freunde, die ich bemuttern konnte. In meiner Ehe wurde ich dann bemuttert, weshalb ich ja überlegte, ob ich mich outen solle……
Ein genaues Datum kann ich nicht nennen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich so etwa ab 2007 meinen „ehelichen Pflichten“ nicht mehr so gut nachkommen konnte. Das verstärkte sich dann 2010/2011 und wurde immer weniger. Ganz offensichtlich wurde zwar noch Testosteron produziert, in den Körperzellen kam aber nichts mehr an, so dass das Östrogen das Regiment übernahm. Mein Körper kastrierte sich langsam, aber stetig selbst. Irgendwann kam der Zeitpunkt, wo nichts mehr ging. Meine Frau und auch ich dachten da noch, dass alles mit meiner Fibromyalgie zusammenhing, was auch in der Literatur so beschrieben wurde. Mein ganzer Genitalbereich war noch empfindlich, aber wir Beide fanden kein Rezept, um den Zustand zu beenden. Eigentlich fing zu diesem Zeitpunkt schon ein enormer Leidensdruck an, nur an was das lag — darauf kam keiner.
Zeit meines Lebens träumte ich davon als Frau auch einen weiblichen Körper zu haben. Ich hatte aber absolut keine Ahnung wie das zu bewerkstelligen gewesen wäre. Ich hielt es schlicht für unmöglich. Als dann so ab Mitte der 1990er Jahre Informationen zu lesen waren hatte ich auch wieder keine Ahnung. Diesmal weil ich die Informationen wegen des Schmerzmittelnebels nicht auf mich bezog. Das nenne ich mal „Tragik des Schicksals“. Jetzt, nach jahrzehntelangen Irrungen und Wirrungen habe ich die Möglichkeit das Unmögliche möglich zu machen, was eigentlich eine glückliche Fügung des Schicksals ist. Hätte nicht irgendwann mein Körper — oder ging das von meinem weiblichen Gehirn aus — mit Veränderungen angefangen, wäre vielleicht alles beim Alten geblieben. Einen Großteil des Weges habe ich jetzt schon geschafft.
Jetzt starte ich mit 65 Jahren noch einmal durch, auch wenn ich nicht weiß, was mich noch alles erwartet. Das ist alles für mich wie eine Wundertüte. Ich lasse mich überraschen. Ich lasse mich zum Beispiel überraschen, wie das Ergebnis der OP wird. Eine große Herausforderung wird sein, wie lange ich benötige, um mich mit meinen neuen Genitalien anzufreunden. Bei meinen Brüsten hat das auch einige Wochen gedauert.
Meine Frau und ich wollen jetzt bald einmal ins Schwimmbad. Ich hatte mir dafür einen Tankini bestellt und es ist auch kaum eine Beule zu sehen. Trotzdem habe ich ein mulmiges Gefühl. Das gehört ebenso zu dem Leidensdruck, dem ich ausgesetzt bin. Vollständig aufhören wird er erst dann, wenn ich in eine Damenumkleide gehen kann und mich ohne Probleme komplett umziehen kann. Im Schwimmbad gibt es ja noch Einzelumkleiden, aber ein Fitnessstudio ist Tabu. In die Männerumkleide will ich nicht und darf ich nicht, weil ich eine Frau bin. Aus der  Damenumkleide werfen sie mich gleich wieder wegen meiner „noch“ männlichen Anhängsel raus. Oh Graus.
Ein anderer Punkt, wegen dem ich unter Druck stehe ist, dass das, was einst recht prächtig war, nur noch ganz klein und unscheinbar ist. Und da bin ich bei meinem nächsten großen Problem. Auf der heimischen Toilette passiert es, dass der Strahl trotz aller Tricks nicht nach unten sondern nach vorne geht — igitt und peinlich. Deshalb meide ich öffentliche Toiletten wie der Teufel das Weihwasser. Und wenn ich in Wald und Flur fotografierenderweise unterwegs bin ist der Krampf noch größer. Im Stehen pinkeln geht jetzt gar nicht mehr und in der Hocke ist es auch noch nicht das Wahre. Was bin ich froh, wenn ich den Krampf endlich los bin!
Vielleicht kann sich jemand vorstellen, was für ein ekliges Gefühl das ist, wenn man etwas anfassen muss, das man so gar nicht mag und eklig findet. So geht es mir mit den Sachen, die mir zwischen den Beinen rumbaumeln. Jeden Tag auf der Toilette und beim Duschen und manchmal nachts, wenn das Dingens verdreht eingeklemmt ist — es ist furchtbar. Mit dem „Verpacken“ habe ich — ehrlich gesagt — keine Probleme. Weil alles nur noch klein und weich ist konnte ich von Anfang an Frauenunterwäsche tragen ohne dass die „Beule“ zu offensichtlich wurde. Und jetzt ist noch weniger da und man sieht schon in Unterwäsche kaum etwas.
Eine andere Art von Leidensdruck ist das dauernde Bevormundetwerden. Von Ärzten, von Psychologen, von der Krankenkasse bzw. MdK usw. Ich hasse das, wenn andere Leute über meinen Kopf hinweg wichtige Entscheidungen für mich treffen. Ich komme mir oft wie ein unmündiges Kind vor. Ich bin eine Frau von jetzt 65 Jahren und muss mir noch sagen lassen Was ich Wann Wie Wo und Warum zu machen habe. Und das ist womöglich der größte Druck, weil ich mir niemals sicher sein kann, dass diese Menschen in meinem Sinn entscheiden. Das hat für mich mit einem selbstbestimmten Leben nichts mehr zu tun, aber durch diese Tretmühle muss ich in meinem eigenen Interesse hindurch. Wenn das Alles vorüber ist, dann………!
Es gibt also eine Vielzahl von Baustellen, die ich nach der OP auf einen Schlag los bin. Ich hoffe mal, dass der MdK schnell und richtig entscheidet. Ich halte das langsam wirklich nicht mehr aus. Ich bin es gewohnt Dinge selbst zu regeln. Hier bin ich mal wieder von anderen Leuten und ihren Entscheidungen abhängig und das gefällt mir überhaupt nicht.
In ein paar Tagen bin ich 65. Normalerweise feiert man so einen Geburtstag. Mir ist aber im Moment überhaupt nicht nsch feiern zumute. Ich wollte dann mit der gesamten Familie feiern, wenn ich die OP gut überstanden habe und wieder halbwegs fit bin. Das ist für mich dann ein Grund zum feiern. Das ist schließlich meine wahre Geburt. Ich wäre dann endlich da angekommen, wo ich hingehöre — nach 65 Jahren. Niemand, der nicht in der gleichen Situation steckt, kann sich ausmalen was das bedeutet. Endlich wären Körper und Geist eine Einheit.
Jetzt muss ich vor der OP noch einige Dinge hier im Haus erledigen. Bäume schneiden, die Küche fertig renovieren, im Bad ist noch etwas zu machen, der Vorgarten muss noch richtig gestaltet werden und noch einige Dinge und seit dem Sturm gestern muss ich noch den Pavillon reperieren. Ich muss auch mit dem Gewicht kräftig runter kommen und ich muss bis zur OP körperlich topfit werden. Im letzten Jahr habe ich da kaum noch etwas gemacht. Und durch das Frustessen im Januar 2018 habe ich in 4 Wochen von etwa 96 Kg auf 116 Kg zugelegt. Aktuell bin ich jetzt auf 103,6 Kg und es müssen noch mindestens 10 bis 15 Kg runter. Ich habe also noch ein straffes Programm.
Ich mache schon seit Anfang Februar nach einem Programm Gymnastik. Dadurch habe ich bisher etwa 5 Kg reduziert. Vor einigen Monaten schon hatte ich einen Weg von unserem Wohnhaus bis zur übernächsten Mühle talabwärts in Google-Earth rausgesucht. Zum fotografieren schön und da es einfache Strecke 3 Km immer bergauf und bergab geht gut für die Figur. Bei ersten Begehen hatte ich mit Pausen zum Fotografieren und Ausruhen noch knapp 3 Stunden benötigt. Ich hatte trotzdem mein Erfolgserlebnis mit 0,5 Kg bleibendem Gewichtsverlust. Ich werde bestimmt noch schneller. Ich habe vor, wenn ich die Strecke unter 2 Stunden schaffe und dann noch nicht müde bin, das bis zum Alten Forsthaus des nächsten Ortes, das sind noch einmal 1,5 Km, auszudehnen. Ich muss da noch mal schauen, es gibt da bestimmt noch andere Möglichkeiten, ohne sich zu übernehmen.
Es gibt viel zu tun und das packe ich auch an.
Eure Emma

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