Triggerwarnung: Dieser Artikel kann auf Ärzt:innen und andere Leser:innen provokant, verstörend und vielleicht sogar herabwürdigend wirken. Ich schreibe ihn aus der Sicht einer geschlechtsvarianten Frau, gilt aber ebenfalls für genetische Frauen. In diesem Artikel gebe ich nur eigene Erfahrungen und meine eigene Meinung wieder. Die Erkenntnisse in diesem Artikel musste ich aus vielen kleinen Puzzleteilen zusammensetzen. Umfassende Informationen fand ich nicht.
Hallo, ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass Ärzt:innen selbst keine Ahnung haben, wie das Zusammenspiel der Geschlechtshormone der Frau aussieht und welches Hormon was bewirkt. Dieses Thema wird m. E. behandelt wie die Motorsteuerung eines Autos: Das ist eine Blackbox die niemand durchschaut und die man nicht reparieren kann. Also lässt man besser die Finger da weg. Wehe, das System gerät außer Takt….
Ärzt:innen kennen sich sehr wohl mit allen anderen 137 Hormonen im menschlichen Körper aus und wissen um das Zusammenspiel, aber bei den Geschlechtshormonen streiken sie — mit einer Ausnahme: Testosteron beim Mann. Woher das wohl kommt? Nun die Medizin ist männerdominiert. Es gibt keinen Fachbereich — die Gynäkologie einmal außen vor gelassen — wo der weibliche Körper das Maß der Dinge ist. Es gibt keine, speziell auf den weiblichen Körper abgestimmte, Medizin.
Kommen wir jetzt zu der Blackbox der Frau und öffnen diese. Insgesamt wirken hier viele Hormone fein aufeinander abgestimmt zusammen. Mir fällt hierzu ein Vergleich mit einem Symphonieorchester ein. Ich fand folgende Hormone: GnRH, LH, FSH, Östrogene (E1, E2, E3, E4), Progesteron, Testosteron.
Der Dirigent dieses feinen Orchesters dürfte das GnRH sein, ein im Hypothalamus gebildetes Hormon das in winzigen Mengen alle 90 bis 120 Minuten an die Hypophyse abgegeben wird. Die Hypophyse stimuliert über die Abgabe von LH und FSH die Synthese der Sexualhormone. Sie spielt, im übertragenen Sinne, die erste Geige.
Die Östrogene, allen voran das Estradiol E2, sind die wichtigsten Mitglieder. Und damit kommen wir zu dem Kern meiner Ausführungen. Eigentlich sollte hier die Stunde der Endokrinolog:innen schlagen. Weit gefehlt. Jede Ärzt:in weiß es anders, aber nichts genaues. Was in der einen Praxis noch ein normaler Wert ist, ist in einer anderen Praxis viel zu hoch und eine dritte Praxis meint ja, aber das Alter. Und es gibt so viele Meinungen bezüglich der Höhe des Estradiolspiegels im Serum wie unterschiedliche Reverenzwerte der Labore. Offenbar gelten in Frankfurt andere Reverenzbereiche als in Hamburg. Und in München oder Berlin haben die Labore wieder andere Revenrenzbereiche. Und der Hammer ist, dass ich bei meinen Recherchen auf einen Fall gestoßen bin wo bei einem Labor der Reverenzbereich für die Follikelphase aufhört und bei einem anderen Labor etwas darunter beginnt. Wie kann so etwas sein???
Mir kommt das vor, als würde hier nur im Nebel herum gestochert und solides Halbwissen als hochwissenschaftliche Erkenntnisse verkauft. Geht es eigentlich noch? Der Gipfel der Verunsicherung kommt noch durch einen Artikel über eine Metaanalyse zum Brustkrebsrisiko bei einer HRT im deutschen Ärzteblatt vom 30. August 2019. Diesen Artikel kann man auch so auslegen, dass hohe Östrogenspiegel grundsätzlich ein erhöhtes Brustkrebsrisiko bedeuten. Ich decke jetzt den Mantel des Schweigens darüber und berichte einmal in Kurzform von meinen Erfahrungen.
- Basis: Vor der Hormontherapie hatte ich E2=26 bis 36 pg/ ml
- nach Beginn 30 pg/ml, Gefühl: Scheiße, Wert wäre nach Arzt so OK
- Nach 7 Monaten 50 pg/ml, Gefühl: Scheiße, Wert wäre nach Ärzt so OK
- Nach 12 Monaten 75 pg/ml, Gefühl: geht so, Wert wäre nach Ärzt etwas zu hoch
- Nach 18 Monaten 75 pg/ml, Gefühl: geht so, Wert jetzt OK, Umstellung von 6 Hub Gynokadingel auf 4 Hub Estreva-Gel, Wert immer noch 75 pg/ml
- Nach 24 Monaten fangen wieder heftige Schmerzen an. Ich lese in einem Artikel, den ich in einer Facebookgruppe fand, dass solche Schmerzen die Vorstufe von Osteoporose sein könnten. Keine Termine bei der Endokrinologin bekommen. Im Oktober 2020 selbstständig von 2-0-2 Hub Estreva-Gel auf 3-0-3 Hub erhöht. Schmerzen nach einigen Tagen vollständig weg.
- Nebenwirkung: Libido vorher bei 5/10, danach bei 9/10. Das ist nur großartig.
- Im 2. Quartal 2021 die Bestimmung des E2-Wertes selbst bezahlt. Wert bei 150 pg/ml.
Vielleicht kann mir irgendjemand erklären, weshalb aber der E2-Wert vor der Genitalangleichenden OP höher sein muss, als nach der OP. Ich stelle da einmal die Aussage der Endokrinologin in Würzburg in den Raum: Vor der OP kann der Wert 180 bis 200 pg/ml betragen, nach der OP soll er deutlich unter 100 pg/ml sein, unabhängig vom Lebensalter. Wer soll das verstehen und wer bringt solche Anweisungen in Umlauf?
Die bisherige Frauenärztin hatte aufgehört und ich musste jemand anderes suchen. Jetzt habe ich eine neue Ärztin die mir zuhört und auch unbegrenzt Estreva-Gel verschreibt. Das Erste, was sie mir verordnete, war ein Besuch bei einem Endokrinologen. Da wurde ich in Frankfurt am Hauptbahnhof fündig und bekam noch kurz vor Weihnachten einen Termin. Der Doktor hörte meine Geschichte an, meinte dass der E2-Wert etwas hoch sei und nahm mir Blut ab. Ende Januar 2022 bekam die Frauenärztin das Ergebnis. Knapp 180 pg/ml stellte der Endokrinologe fest und von einer Reduktion des E2-Wertes war nicht mehr die Rede. Jetzt sollte ich noch abklären lassen, ob da irgendetwas mit einer Thrombosegefahr wäre. Vor 2 Wochen hatte ich wieder in Frankfurt einen Termin bei einem Spezialisten. Mit dieser Frauenärztin beginne ich ein neues Kapitel der Wirrungen und Irrungen.
Wenn wir den Vergleich mit einem Symphonieorchester weiterspinnen wollen, sind die Östrogene mit den Streichern vergleichbar — mal leise, mal laut aber immer vorhanden. Dann gibt es noch eine wichtige Gruppe — die Holzbläser. Das Progesteron ist damit vergleichbar. Und hierbei gehen die Meinungen in der Ärzteschaft extrem auseinander. Denn, ein großer Teil von Endokrinolog:innen, Gynäkolog:innen und anderen Ärzt:innen, die mit den Hormonen eines Menschen befasst sind, sind der Meinung, dass Progesteron nur von schwangeren Frauen benötigt wird, also normalerweise keine Funktion im Körper einer Frau hat. Nur ein kleiner Teil der Ärzt:innen hat begriffen, dass Progesteron mehr Funktionen hat, als die Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft.
Hier einmal eine Liste von Symptomen bei einem Progesteronmangel, die mit der Vorbereitung und Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft nichts zu tun haben:
- Starke und lange Menstruation
- PMS (praemenstruelles Syndrom: Unter anderem Stimmungsschwankungen, Wassereinlagerungen, Bauchbeschwerden) *
- Schmierblutung einige Tage vor der Regelblutung
- Kopfschmerzen einige Tage vor der Regelblutung
- Brustspannen, Zysten in der Brust *
- Myome der Gebärmutter
- Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten
- Polyzystische Ovarien (PCO)
- Osteoporose *
- Wassereinlagerungen an Händen und Füßen *
- Blähungen, dicker Bauch *
- Varizen, Hämorrhoiden *
- Akne, Gesichtsrose, Rosaceae *
- Haarausfall *
- Gewichtszunahme *
- Kalte Hände und Füße *
- Bluthochdruck *
- Stimmbandödem *
- Heißhunger auf Süßes *
- Müdigkeit *
- Schlafprobleme *
- Ängstlichkeit, Panikattacken *
- Depressive Stimmungen *
- Gereiztheit *
- Konzentrationsschwäche *
- Herzrhythmusstörungen *
- Hitzewallungen *
- chronische Müdigkeit *
- Wadenkrämpfe *
- Bartwuchs (Damenbart)
- starkes Schwitzen *
- Depressionen *
- Kopfschmerzen *
- Kurzatmigkeit *
- Muskelschmerzen *
- Ungeduld *
- trockene Haut / Schleimhaut *
- Verminderte Libido *
Ich bin mir sicher, dass die Aufzählung noch nicht einmal vollständig ist. Für uns geschlechtsvariante Frauen treffen die Symptome mit (*) zu — was aber immer noch zu viele sind. Es gibt allerdings auch einige geschlechtsvariante Frauen die im Laufe ihrer HET einen normalen Menstruationszyklus entwickelt haben. Für diese Frauen gelten dann noch einige andere Symptome bei einer Unterversorgung. Ich frage mich im Ernst, wie Ärzt:innen bei dieser Vielzahl von Symptomen bei Progesteronmangel sagen können, dass dieses Hormon nur für eine Schwangerschaft benötigt würde.
Erste, leichte PMS-Symptome bekam ich im Frühling 2019, etwa 9 Monate nach Beginn der HET und 6 Monate nach Beginn eines regelmäßigen Menstruationszyklus. Mit Yamswurzel-Kapseln bekam ich das zunächst in den Griff. Nach der GaOP im September 2019 wurde es Monat für Monat etwas heftiger. Nach der Korrektur-OP im Januar 2020 hatte ich täglich mit PMS-Symptomen zu schaffen. Ich rief deshalb die Frauenärztin in Fulda an und diese Frau erkannte das Problem und verschrieb mir Progesteronkapseln mit 100 mg Hormon. Abends nahm ich davon eine Kapsel und konnte wieder gut schlafen und auch die anderen Symptome wurden wesentlich besser. Trotzdem war das noch nicht das Optimum. Es war noch etwas wechselhaft. Offensichtlich wirkte mal etwas mehr, mal etwas weniger Hormon. In der ersten Zyklushälfte kam es mir überdosiert vor und in der zweiten unterdosiert.
Ich las dann etwas darüber, dass frau in der ersten Hälfte die Kapseln weglassen solle und dafür in der zweiten 3 Kapseln einnehmen solle. Ich probierte das aus. Nun war es herumgedreht. Außerdem war ich nach der Einnahme der 3 Kapseln wie auf Drogen. Das war also auch nicht das Gelbe vom Ei. Da fiel mir ein, dass ich ganz am Anfang meiner Recherchen etwas von einer Progesteroncreme gelesen hatte, außerdem wusste ich, dass von den 100 mg einer Kapsel nur etwa 10% verwertet werden. Ich kaufte eine Milligrammwaage und rührte mir mit dem Inhalt der ausgedrückten Kapseln und einer Hautchreme eine 10%ige Creme zusammen. Zusammen mit den Sollwerten des Progesteronspiegels bestimmte ich die Menge des aufzutragenden Progesterons. Mit 15mg kam ich in den Sollwertbereich für die erste Zyklushälfte und es ging mir erstmals so richtig gut.
In der zweiten Zyklushälfte musste ich, um PMS zu vermeiden, meist noch etwas nachdosieren. Interessehalber fing ich einmal an meine Basaltemperatur zu messen. Nach 3 Monaten hatte ich heraus, dass die Temperatur am 16. Zyklustag einen Sprung von 0,2 bis 0,3 Grad macht. Nun wusste ich, ab wann ich die Creme höher dosieren musste. Seitdem geht es mir sehr gut.
Seit Herbst letzten Jahres habe ich eine andere Frauenärztin weil die in Fulda heiratete und dann nicht mehr praktizierte. Diese Frau steht auf dem Standpunkt, dass Progesteron nur für die Schwangerschaft benötigt würde und verschreibt mir die Kapseln nur auf Privatrezept. Sonst ist sie aber mir und meinen speziellen Sachen gegenüber sehr aufgeschlossen.
Ihr denkt jetzt wahrscheinlich: Jetzt reicht es aber so langsam. Nö, Einen habe ich noch. Testosteron.
Wie bitte? Frau und Testosteron? Was soll denn das? Frauen haben doch keine Hoden, wo das Testosteron gebildet wird. Richtig! Aber eine geringe Menge dieses Hormons wird auch in der Nebennierenrinde produziert und diese geringe Menge gibt dem Orchester den letzten Schliff, wie die Blechbläser. Es ist ein fataler Irrtum, zu sagen, dass Testosteron bei einer Frau nichts zu suchen habe. Dieses Hormon ist wichtig für den Knochenaufbau und die Muskulatur, außerdem ist es im Zusammenspiel mit den anderen Hormonen für das seelische Gleichgewicht einer Frau wichtig. Ich kann deshalb Ärzt:innen nicht verstehen, die meinen, dass der Testosteronspiegel bei geschlechtsvarianten Frauen vor der GaOP möglichst auf Null sein muss, damit das bisschen Ostrogen, das sie nehmen sollen auch richtig wirkt. Der Östrogenspiegel im Paterre und das Testosteron in der Tiefgarage brachten mich psychisch in eine tiefe Depression. 2018/19 wusste ich aber noch nichts von den ganzen Zusammenhängen. Ich vertraute halt den Ärzten. Das sie mich gesundheitlich an den Abgrund brachten wurde mir erst allmählich klar. Mädels lasst euch nicht einreden, dass nur ein möglichst niedriger Testosteronwert richtig sei. Wenn bei der HET dieser Wert zwischen 0,15 und 0,6 ng/ml liegt ist es in Ordnung.
Die KV-Hessen setzt dem ganzen Verwirrspiel noch die Krone auf. Von dem Gynokadin-Gel benötigte ich für einen Wert von 75 pg/ml 3 Dosierspender im Monat. Die KV-Hessen setzte die Ärzt:innen unter Druck, dass sie nur noch einen 3-er Pack im Quartal verschreiben durften. Nach einiger, schwieriger Recherche fand ich den Namen des Chefs heraus. Dem schrieb ich einen sehr bösen Brief, dass ich bei dem zuständigen Sozialgericht eine einstweilige Anordnung erwirken und dazu die Presse einladen würde. Das war im Frühling 2019. Seitdem gibt die KV Ruhe.
Mein Fazit aus meinen eigenen Erfahrungen ist:
- Medizin wird von Männern für Männer gemacht.
- Jeder weiß etwas, aber niemand etwas genaues.
- Es gehören auf den Universitäten Fachbereiche für Frauenmedizin eingerichtet, damit das ganze, oben erwähnte Nicht- und Halbwissen einmal aufhört. Medizin von Frauen für Frauen.
- Gynäkolog:innen kennen sich mit Schwangerschaft und Geburt aus, aber kaum mit dem Hormonhaushalt einer Frau.
- Endokrinolog:innen kennen sich mit allen Hormonen aus und wissen, welche Werte noch in Ordnung sind und welche nicht. Aber den Zusammenhang der unterschiedlichen Hormone bei einer Frau kennen nur die wenigsten.
- Eine geschlechtsvariante Frau, die sich bei ihrer HET nur auf die Ärzt:innen verlässt ist verlassen und kann unter Umständen in Teufels Küche kommen.
- Jede:r Ärzt:in weiß irgendetwas anders und ist anderer Meinung als andere Ärzt:innen. Ich habe den Eindruck, dass in keinem medizinischen Fachbereich die Meinungen derart auseinandergehen, wie beim Hormonhaushalt einer Frau.
- Ich hatte seit 2017 3 Gynäkolog/innen und 6 Endokrinolog/innen. Jede/r Arzt/Ärztin hatte eine andere Meinung zu den Dingen, die gut für mich sein sollen, aber nur der letzte Endokrinologe fragte mich aus ernsthaftem Interesse, wie es mir ging und momentan geht und wie ich mir die Zukunft vorstelle.
- Ich lasse mir nichts mehr vorschreiben, wenn es mir dann wieder schlecht geht. Die Gynäkologin brauche ich eigentlich nur für die Brustuntersuchung und für Rezepte, den Endokrinologen für die Blutuntersuchung und den Rest entscheide ich selbst nach gesundheitlichem Befinden.